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[heft 13] [juni 2016] wien - st. wolfgang



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DER KRANKE DICHTER.
3 MONOLOGE. (HOMMAGE

AN THOMAS BERNHARD)

Armin Anders


DER KRANKE DICHTER
UND DER STUDENT


DRITTER MONOLOG


Mittags, ein großes, karges Zimmer, Schimmel wuchert die schmutzig­grauweißen Wände aufwärts, eine hohe Tür in der Mitte, rechts und links hohe Fenster, rechts (von der Mitte der Bühne) sitzt im beeindruckenden Ohrensessel der DICHTER, etwas abseits steht im Halbschatten der STUDENT, hoch über ihm an der Wand hängen zwei Paar Eselsohren (wie eine Jagd-Trophäe), in der Mitte der Bühne steht ein langer, gedeckter Tisch mit zwei Sesseln, jeweils an den Enden

Stille

Theaterwissenschaft / sagten sie / Student / der Theaterwissenschaft / was hat sie nur / dazu veranlasst / Theaterwissenschaft / zu studieren / Theaterwissenschaft / in Österreich / was hat sie nur / dazu bewogen / sagen Sie es nicht / sagen Sie nichts / schweigen Sie / es ist doch nur / eine Enttäuschung / eine einzige Enttäuschung / wie die gesamte Wissenschaft / eine Enttäuschung ist / eine einzige große Enttäuschung / Schmierenkomödiantentum / wohin man schaut / eitler Wahn / der Witz ist / dass sie sich ernst nehmen / die Wissenschaftler / dass sie sie ernstlich betreiben / die Wissenschaft / Unzüchtler sind sie / Begriffsausschlachter / alle / Theaterwissenschaft / sagten sie / Student / der Theaterwissenschaft / Theaterwissenschaft / in Österreich / was für eine Enttäuschung / was für eine Totgeburt / ich habe nicht studiert / nein / meine Mutter wollte es / aber ich habe gesagt / nein / die Wissenschaft zerstört / zerstört alles / Stück um Stück / zerstört sie / die Natur / Baum um Baum / zerstört den Menschen / Buch um Buch / vernichtet alles / und alle / das Bein / das Bein / Hellbronn / Hellbronn / das Bein

Hellbronn kommt herein, kniet sich vor ihm nieder und kratzt das linke Bein kräftig

Das rechte / Hellbronn / das rechte

Hellbronn kratzt das rechte Bein kräftig

Ah / das tut gut / gut tut das / sie ist eine / begnadete Kratzer/n / sie war Haushälterin / bei einem tirolerisch / katholischen Pfarrer / er hat ihr immer / unter den Rock gegriffen / beim Kochen / nach dem Essen / vor dem Gottesdienst / nach dem Gottesdienst / einfach so / unter den Rock gegriffen / da ist sie / zu mir gekommen / seit vierzig Jahren / wartet sie jetzt / dass ich sie heirate / aber ich sage immer / es ist ja noch Zeit / Ah / meinen Mittagsrock / Ah

Sie holt den Mittagsrock, der DICHTER steht etwas unbeholfen auf, sie zieht den DICHTER mit größter Mühe an, langsam geht der DICHTER auf den Tisch zu

ich bin / in einem schrecklichen Zustand / ich will lieben / und ich werde gehasst / ich brauche Schonung / und ich werde gemartert / ein schrecklicher Zustand / ich befürchte / den baldigsten Schlagfluss / die kleinste Erregung / könnte mein Tod sein / meine Auslöschung / ein unhaltbarer Zustand / wie wir alle / in unhaltbaren Zuständen / leben / immerzu / in unhaltbaren Zuständen / in unerträglichen / Ah / Theaterwissenschaft / sagten sie / Student / der Theaterwissenschaft / Theaterwissenschaft / in Österreich / und sie wollen / ein Interview / mit mir machen / dem kranken / dem sterbenden Dichter / sie wollen mich / bei lebendigem Leib / auf den Seziertisch / der Wissenschaft legen / mich zerlegen / mich analysieren / Vivisektion betreiben sozusagen / ich gebe keine Interviews / grundsätzlich nicht / man wird missverstanden / immerzu / auch von der Wissenschaft / gerade von der Wissenschaft / sie glauben nicht / was an Lügen / wissenschaftlichen Lügen / sogenannten objektiven Lügen / verbreitet wurden / und werden / über mich / erst neulich / berichtete mir ein Bekannter / er habe gelesen / ich sei in Oberösterreich / geboren / in Oberösterreich / Ah / mein Lebtag / habe ich / meine Füße nicht / auf Oberösterreich / gesetzt / Karl Kraus / hat seinerzeit / nach Erhalt / eines dummen Leserbriefs / aus der Landeshauptstadt / sämtliche Abonnenten / Oberösterreichs / vom Bezug / der Fackel / ausgeschlossen / ich habe Oberösterreich / immer gemieden / Salzburg habe ich / gehasst / aber Oberösterreich / verachtet

Er setzt sich an den Tisch, auf eine Geste des DICHTERS hin setzt sich auch der STUDENT, der DICHTER schlägt zweimal hart auf den Tisch, dann einmal leicht, Hellbronn serviert das Essen

Theaterwissenschaft / in Österreich / was für eine Existenz / was für eine Enttäuschung / Theater ist doch / das Verlogenste / das Absurdeste / eine jahrtausendalte Perversion / und sie machen Wissenschaft daraus / Ah / Tiroler Speckknödel / mit Sauerkraut / auch etwas Perverses

Der DICHTER isst hungrig

Theaterwissenschaft / sagten sie / Student / der Theaterwissenschaft / das Theater zerstört nicht / die Kunst fordert keine Opfer / aber die Wissenschaft / die sogenannt objektive Wissenschaft / das wissen wir doch / die Wissenschaft / tötet den Boden / die Wälder / die Menschen / die Wissenschaft zerstört alles / vernichtet / löscht aus / wie die Politik / das wissen wir doch / das ist der Zustand / der Welt / ich kaufe / keine wissenschaftliche Bücher / sogenannte objektive Wissenschaftsbücher mehr / schon lange nicht mehr / seit Jahrzehnten nicht / nichts mehr gelesen dergleichen / seit Jahrzehnten / nicht / nichts / Schopenhauer / ein wenig / ein bißchen Montaigne vielleicht / Pascal / manchmal / nur keine wissenschaftlichen Bücher / nur keine / sogenannt objektive Wissenschaftsbücher / nichts ist mir fremder / verhasster / verachtenswerter

der DICHTER würgt am Essen

bevor ich mir einmal wieder / ein Buch der Wissenschaft kaufe / der sogenannt objektiven Wissenschaft / kaufe ich mir eine Eintrittskarte / fürs Burgtheater / und schaue mir

der DICHTER würgt und hustet

und schaue mir eines meiner Stücke an / An / Burgtheater am Dr. Karl Lüger Ring / auch so eine österreichische Gemeinheit / auch so eine österreichische Niedertracht

der DICHTER schreit

Hellbronn / Hellbronn / Hellbronn

Hellbronn kommt, nimmt den Blechnapf, der ihm zu Füßen steht, hält ihn ihm vors Gesicht, der DICHTER spuckt hinein

VORHANG

[ERSTER MONOLOG]



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