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[heft 15] [juli 2017] wien - st. wolfgang



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(Nicht ganz hundert Ratschläge)

Werner Rohner


1. Angeblich soll die Erde 500 Millionen Jahre früher untergehen als bisher angenommen.
2. Vermeide keine Abschiede.
3. Lächerlichkeit ist ein probates Mittel, um einander näher zu kommen.
4. Trink nicht mit Leuten, die du nicht magst – geh weg von ihnen.
5. Bewusst auf Zusammenhänge verzichten.
6. P. schrieb: Leg dich auf den Boden, im Dunkeln, und hör Ginsberg zu: Sunflower, Sunflower.
7. Im Lexikon wird Frieden in Zeitalter unterteilt, in denen er verschiedene Bedeutungen hatte. Schreib einen neuen Eintrag.
8. Dass es Dinge gibt, die man erst versteht, wenn man erwachsen ist, mag stimmen. Dass man gar nicht erst versuchen soll, sie denen, die noch nicht erwachsen sind, zu erklären, nicht.
9. Heimatlosigkeit ist ein Zustand, den man sich erarbeiten muss.
10. Geschenke machen ist gefährlich – tue es allein schon deshalb.
11. Begründe, weshalb aus dem Fenster schauen gut ist. Entwickle eine Geschäftsidee daraus.
12. Wenn du die Welt verändern willst, denk daran, wer das alles auch schon wollte. Und wenn du es nicht mehr willst, schau dir die an, die es nicht mehr wollen.
13. Keine Angst zu haben, war nie mein Anspruch.
14. Putz Deine Wohnung, als ob du sie abgeben müsstest, ohne sie abgeben zu müssen.
15. Bettle einen Tag lang in Deinem Heimatort.
16. Zähl Deine Stunden Schlaf von dem Moment, wo Du liegst.
17. Zähl Deine Stunden Schlaf nicht.
18. Sich den Kindheitstraum erfüllen und mit dehnen beginnen, bis man sich selbst einen blasen kann. Überlegen, ob Pubertät nicht vor allem eine Ausrede für Erwachsene ist. Oder ein Totschlagargument.
19. Hör Fabrizio de Andrés „Sally“ und sei nicht traurig.
20. Erzähle jemandem einen Traum, in dem er drin vorkommt; einzige Bedingung, der Traum muss erfunden sein.
21. Zähl im Dunkeln die Blätter eines Baumes, bis es hell wird.
22. Vermeide Redewendungen, wenn du dich entschuldigst.
23. Schäm dich nicht, wenn du Bettlern nichts gibst. Gib ihnen etwas.
24. Dass du dich so oft verlieben kannst, das hättest du nicht gedacht – deshalb überrascht es dich, wenn du nicht weisst, was du fühlst.
25. Iss mehr Mohnkuchen.
26.
27. Dass Du, wenn Du darüber nachdenkst, dich lieber in jemand anderen verliebt hättest – das sollte Dir noch mehr zu denken geben. Und die Heftigkeit, mit der Du noch immer in die falsche Person verliebt bist.
28. Wenn du schon eine Tasse gegen die Wand schmeissen musst, dann nimm gefälligst Deine Lieblingstasse.
29. Realität ist, was Du zulässt.
30. Was dir fehlt, das weisst du nur, weil jemand anders es hat. Ist das nicht schön?
31. Diese Frage nach dem Sinn des Lebens – die bleibt unter uns, ja?
32. Wenn Dir ein Freund den Finger in den Hals steckt, damit es Dir nachher besser geht, macht’s auch nichts, wenn du ihm über die Schuhe kotzt.
33. Die Mutter oder den Vater fragen, wann sie zuletzt unglücklich verliebt gewesen sind.
34. Als Blume, vielleicht, als Margerite kommen wir wieder, wenn wir gestorben sind – was dieses Versprechen mit einem Kind macht, das täglich auf Wiesen spielt.
35. Vorsätze sind dazu da, um später nicht zu vergessen, was man einmal wollte.
36. Sei ruhig dagegen, auch wenn Du nichts Besseres weisst. Sei aber nicht einfach dagegen, nur weil es Dir schadet.
37. Geh in einem Land, dessen Sprache du nicht sprichst, zum Frisör.
38. Endlich bitte aufhören, den Eltern die Schuld zu geben oder darüber nachzudenken, weshalb man geworden ist, wie man ist – man bleibt es sonst womöglich viel zu lange.
39. Tanz täglich Trott.
40. Umarme deine Freunde etwas länger.
41. Count your fingers!
42. Bewusst auf Zusammenhänge verzichten.
43. Dass es zu spät sei, ist oft viel zu früh schon eine Ausrede. Dass der beste Moment verpasst ist, heisst nicht, dass es nicht noch viele Möglichkeiten gibt, die besser sind, als das, was ist.
44. Meine Freundin C. spricht mit den Toten; froh macht sie das nicht. Manchmal beneide ich sie trotzdem darum.
45. Manchmal ist es sehr einfach, glücklich zu sein, du musst es deshalb nicht gering schätzen.
46. Pflück einen Strauss aus Gras.
47. Du vermisst immer nur die Vorstellung von etwas – sei dankbar für diese Vorstellung.
48. Leg Deine Wange auf eine abgeschnittene Kuhzunge und sing ein Kinderlied. Aber ein schönes.
49. Glaub mir, es gibt nichts Normales – ich finde das auch schade.
50. Familie ist die kleinste Form von Nation. Sing jetzt kein Lied.
51. Wenn du einen ganzen Tag darüber nachgedacht hast, wann der beste Zeitpunkt zum Schreien ist, und wer es hören könnte, dann solltest du jetzt noch nicht schlafen gehen.
52. Verlaufe dich in deinem Heimatort.
53. Ich habe manchmal Angst.
54. Wenn du öfters an den Händen deiner Freunde riechen würdest, ihr wärt Euch viel näher.
55. Du inszenierst dich so oder so.
56. Mein Ziel ist es, die Katze, die rot-weiße, die draußen der Kühlerhaube liegt und mich nicht beachtet, nie für eine Metapher zu missbrauchen, kein einziges Mal. Versprochen, Katze!
57.
58. Zum Beispiel: Roly Porter.
59. Sag nicht, was Du sagen kannst, sag, was Du sagen willst.
60. Könnte es vielleicht sogar sein, dass es keinen Roman gibt, der mit den Worten: "Ich liebe dich" beginnt?“ Schreib doch du ihn.
61. Bei jedem Streit und aller Wut war das grösste Gefühl von uns beiden immer, dass es uns Leid tat. Ob das gut war?
62. Ein Museum eröffnen, in das immer nur eine Besucherin rein darf. Und bleiben, so lang er will.
63. Romantik ergibt sich oft aus der Erfüllung von Klischees – vergiss das wieder, und geniesse es.
64. Dass Dir die eigenen Eltern fremd sind, ja das gibt’s, oft sogar, aber das eigene Kind – weshalb?
65. Geh aufn Markt und handle einen 25%-Rabatt aus. Beim Zahlen gibst Du aber den vollen Preis. Warst du jetzt überheblich? Versuch’s nochmal.
66. Wenn das Schönste am ganzen Abend war, wie du am nächsten Tag mit deinen Freunden darüber sprichst – manchmal funktioniert schreiben so.
67. Wertung ist das, was entsteht, wenn man aufhört nachzudenken.
68. Politik ohne Weltbild?
69. Überwinde Dich nur, wenn es um was geht, was Dir wichtig sein könnte, dann aber öfters.
70. Dass Du mehr als eine Stimme gleichzeitig immer nur als Musik, nicht als Sinn hören kannst, das verrate niemandem.
71. Gehe fremd.
72. Hör „Herz der Finsternis“ im Dunkeln, gelesen von Christian Brückner, schau Apocalypse now redux noch in derselben Nacht und lies dann in der gleissenden Sonne „In hell“ von Denis Johnson und sag mir, ob Du danach nicht auch in den Krieg willst, allein, um auf den Tod zu warten.
73. Endlich den Moonwalk lernen.
74. Wie mich plötzlich eine Meinungslosigkeit überkam, die mir Angst machte. (Nicht aus Demut, nicht aus der Haltung, wer bin ich denn, zu sagen, wie es sein sollte.) Eine absolute, früher manchmal künstlich geprobte, jetzt plötzlich so total, dass ich kaum das hätte aussprechen können. Nach dem Essen habe ich dann eine Zusammenstellung von Oliver Kahns besten Paraden gesehen, das hat geholfen.
75. Erklär einem Arschloch sehr sachlich, weshalb er ein Arschloch ist, und geh dann nicht weg.
76. Mach Witze über Dinge, die dich nicht betreffen, dann betreffen sie auch dich.
77. Suche fünf Klischees, denen du zustimmen würdest, und formuliere sie so, so genau, bis sie keine Klischees mehr sind. Überlege dann, ob Du ihnen immer noch zustimmen würdest.
78. Dass wir zwei uns nach 13 Jahren immer noch lieben, gibt mir manchmal zu denken, aber das stört mich nicht.
79. Klappere mit den Zähnen eine Melodie.
80. In Rom wachsen Bäume in Flüssen, und einmal habe ich einen Mann gesehen, der breitete auf eine seltsame Weise die Arme aus.
81. Das letzte Mal, dass du geweint hast – musst du immer noch weinen, wenn du daran denkst?
82. Heimat ist, was zurückbleibt, wenn man unfreiwillig reist.
83. Alleinsein will gelernt sein. Lass es Dir von jemandem beibringen.
84. Die Schlagzeile, die den Untergang der Welt ankündigt, hast Du längst gelesen – jetzt kannst Du in Ruhe leben.
85. Wenn du alles verlierst, was du hast, bist du wie fast alle anderen –deswegen brauchst Du keine Angst zu haben.
86. Bitte, bitte!, hört auf mit diesen Wörter um Euch zu schmeissen: Krise, Tsunami, Abzocker, Wandel, Gesellschaft, Relevanz, Krieg, Liebe, Experten, fundamental, Werte, kritisch, Genetik, NanoMakro, ökonomisch, Realität, Erfahrung, Veränderung, Mehrwert, Natur des Menschen, MannFrau. Bitte, bitte, hört auf zu jammern, zu predigen, zu verlangen, hört auf, Ratschläge zu erteilen, bitte!
87. Handle häufiger so wie die Leute in deinen Lieblingsfilmen.
88. Go get lost!
89. An Altersschwäche sterben.
90. Das Meer.
91. Klingle bei irgendeiner Wohnung. Frag die Bewohner, ob Du Dich auf ihrem Sofa ein bisschen ausruhen dürftest. Erklär ihnen, wieso. Wenn sie es nicht verstehen, biete ihnen an, auf Deinem Sofa zu schlafen.
92. Da stehst Du, und es ist so schön – Du kannst es aber nicht teilen, nicht festhalten – etwas zwischen Glück und Einsamkeit überkommt Dich plötzlich. Davon möchtest Du immer noch erzählen – aber weshalb nur, weshalb?
93. Was wäre die Nacht ohne ihr Dunkel.
94. Politik ist das, was notwendig wird, wenn man nicht vertraut.
95. Moral ist ein Denkgefängnis für das Individuum und ein Befreiungsschlag für die Gesellschaft – was sagst Du nun?
96. Dass wir das Leben aussuchen, das unserem Schmerz am meisten entspricht, das wäre möglich – kannst Du das ändern?



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