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[heft 16] [september 2018] wien - st. wolfgang



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curriculum vitae (auszug III)

Margit Heumann


radio
pflichtschuldig versah ich meine aufgabe als radio: ich beschallte die wohnung mit guter laune, vertrieb so manche einsamkeit mit musik, hörspielen und mitmachaktionen, nur die nachrichten ließen sich nicht kurzweilig entschärfen, wenn sie nicht genug bekamen von korruption, mord und totschlag, schützte ich atmosphärische störungen vor und ließ es in höchsten tönen knistern und rauschen bis zur wettervorhersage, die war auch nicht immer sonnig, aber gottseidank selten stimmig, eines tages kam man mir auf die schliche und ich war weg vom fenster.



segelboot
schmachvoll war meine karriere als segelboot: nur selten kreuzte ich meiner bestimmung gemäß mit prallen segeln hart vor dem wind übers meer, statt dessen wurde ich gegen meinen willen huckepack genommen und befuhr die autobahnen zwischen bodensee und adria, das war meiner nicht würdig, und einmal als die wellen gelbgrün bis an den straßenrand wogten, stürzte ich mich vom lkw, und siehe da, statt übers meer segelte ich auf dem kornfeld einher, allerdings nur bis zur ernte.



tagedieb
eine weile war ich ein tagedieb: auftragsgemäß raffte ich zusammen, was ich kriegen konnte, und war doch mehr robin hood als ein taugenichts, zur freude von schülern ließ ich unterrichtsstunden verschwinden, chronischkranken unterschlug ich endlose krankenhaustage, und besonders gern betrog ich geldgierige wirtschaftsbosse um businesstermine, die beute gab ich an wahrhaft bedürftige weiter, helfende hände, kreative köpfe und spielende kinder, die die tage besser nutzten, bis ich genau deswegen entlassen wurde.



urlaub
einmal war ich ein urlaub: mit mir verband man gemeinhin freizeit und ferien, süßes nichtstun oder reisen oder balkonien, kaum jemand kannte meine wurzeln, die bis in die urzeit reichten, wie alles leben stammte ich aus dem urmeer, in jahrmillionen entwickelte ich mich vom einzeller zur alge, später verschlug es mich aufs festland und ich mutierte zum ur-laub mit weltweiter verbreitung, dann war der nächste wandel fällig.



vatermörder
unerbittlich war mein auftrag als vatermörder: ich nahm meine aufgabe sehr ernst und verbarg meine wahren absichten hinter hohem kragen, mit list und tücke verstärkte ich den druck auf den sinus caroticus, löste augenflimmern und kreislaufprobleme aus, zu mehr brachte ich es nicht, denn meine karriere endete vorzeitig, schon am ende des neunzehnten jahrhunderts kam ich aus der mode.



walzer
einstmals durfte ich ein walzer sein: ein auf und ab aus schwarzen punkten mit hälsen und fähnchen wurde ich auf fünf linien geboren, doch zum leben erwachte ich erst, als ich in spielerische hände geriet, da wurde ich zur melodie, strauß vater und sohn und zeitgenossen machten mit mir furore, ich wurde zum pflichttanz auf jeder hochzeit, entzückte auf dem opernball, vergoldete das neujahrskonzert, einst tanzte mich sogar der kongress an der schönen blauen donau, da war es zeit abzudanken



xanthippe
ein einziger schwindel war mein dasein als xanthippe: obwohl von natur aus sanft und liebenswürdig, hatte ich seit der antike einen schlechten ruf, jedoch nur meinem mann gehorchend, er wolle, sagte er, die kunst des menschlichen umgangs zu seinem hauptgeschäft machen, darum brauche er ein böses weib, um sich leichter in andere menschen zu finden, also gab ich mich zänkisch und streitsüchtig, ich liebte meinen sokrates, niemals hätte ich ihn enttäuscht, erst nachdem er den schierlingsbecher nahm, wurde ich wieder ich selbst.



yuppie
kurze zeit gehörte ich zu den yuppies: young urban professionals waren wir die antwort auf hippies und flower-power, cannabis war out, kokain in, man sagte uns arroganz und egoismus nach, weil uns der sinn nicht nach secondhand-klamotten und wg stand sondern nach marken und single-loft, die nächste wirtschaftskrise machte uns den garaus und zu yuffies, young urban failures, das leben ist eine schaukel, und ich stand auf der straße.



zelter
einmal hatte ich den beruf eines zelters: ich war das pferd der königinnen und schaukelte prinzessinnen durch märchen, sanft im wesen und weich in den gängen trug ich adelige von schloss zu schloss, bis die vornehmen bequem wurden und die kutsche erfanden, ich wurde verdrängt und zum aussterben verurteilt, doch auf einer abgelegenen insel im hohen norden wurde ich als tölter wiedergeboren.



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