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Erika Danneberg
Kurzbiographie
Raimund Bahr


Vorgeschichte
Erika Danneberg wurde am 9. Jänner 1922 in eine kleinbürgerliche Wiener Familie geboren. Die Eltern wohnten in Wien-Favoriten, im selben Haus wie die Großeltern mütterlicherseits. Sie war das älteste von drei Kindern, die nach ihr im Abstand von jeweils sechs Jahren zur Welt kamen: Hedwig (1928, verheiratete Philipp, lebt in Innsbruck) und Otto (1934, verheiratet, lebt in Wien).
Als älteste Tochter kam sie zur Unzeit. Die Eltern jung und unerfahren, der Vater mit dem Aufbau seiner Karriere beschäftigt, die Mutter in ihrer Unerfahrenheit ambivalent dem Kind gegenüber. In dieser Situation wird die Großmutter, Anna Hottner-Grefe, zum ersten und vielleicht entscheidenden Angelpunkt in ihrem Leben. Ihr Einfluß war maßgeblich dafür, daß sie sich den Lebensentwurf einer Schriftstellerin aussuchte und als Frau nicht nur Haushalt und Familie im Auge hatte, sondern sich durchaus ein selbstbestimmtes und engagiertes Leben vorstellen konnte. Die Großmutter war die einzige, so sieht es zumindest Erika Danneberg in der Rückschau, die sie vorbehaltlos annahm. Sie war ein Vorbild. In künstlerischer Hinsicht hatte sie in der Familie Grefe zwei Angelpunkte: den Urgroßvater Conrad Grefe, ein berühmter Wiener Landschaftsmaler, und eben die Großmutter, die mit ihren zahlreichen Groschen- und Liebesromanen die Familie ernährte. Ihre Fortsetzungsromane erschienen in zahlreichen Zeitschriften. Anna Hottner-Grefe schrieb unter mehreren Pseudonymen, darunter auch für die Lehrerinnenzeitschrift Lehrerinnenwart. Während die Großmutter die Geschichtenschreiberin war, konnte der Großvater sensationelle Geschichten erzählen. Durch ihn erschloß sich ihr die Welt des gesprochenen Wortes.
Neben den Großeltern hat auch der Vater entscheidend zu ihrer Entwicklung beigetragen. Er war zwar physisch zumeist abwesend, aber dafür in intellektueller Hinsicht um so präsenter. Er belastete Erikas Kindheit vor allem dadurch, daß er sie die ersten beiden Jahre zu Hause unterrichtete und anschließend, nach bestandenem Eignungstest, in die zweite Klasse Volksschule einschulen ließ. Sie blieb für lange Jahre die Jüngste und Kleinste, und damit in der Hierarchie an der untersten Treppenstufe. Erst im Gymnasium gelang es ihr, diesen Makel der Jüngsten loszuwerden. Sie besuchte von 1931 bis 1939 das Realgymnasium des Wiener Frauen-Erwerb-Vereines IV, Wiedner Gürtel 68, und legte am 14.3.1939 die Reifeprüfung ab.

Jugend im Krieg
Mit Ende der Schulzeit brach der Krieg über sie herein. Der Nationalsozialismus und ihre Erfahrungen mit dem Regime in der Schule und in der eigenen Familie haben sie in ihrer widerständigen Haltung als Internationalistin und Pazifistin geprägt. Durch ihre offene Ablehnung des Regimes geriet sie rasch in Konflikt mit ihrem Vater. Er und vor allem ihr Bruder Otto standen dem NS-Regime nicht feindselig gegenüber. Erika hingegen opponierte offen gegen die Unterdrückung und vor allem gegen den Krieg. Sie leistete zwar vom 15.5.1939 – 28.9.1939 im Arbeitsdienst für die weibliche Jugend als Arbeitsmaid (im Lager 2/200 in Prutz bei Feldkirch) ihren Pflichtdienst ab, aber setzte darüber hinaus keine weiteren systemkonformen Aktivitäten. Im Dienstzeugnis steht verzeichnet: Gesamtarbeitszeit 20 Stunden pro Woche. 27 Wochen Dienstzeit. Führung: gut.

Ausbildung
Bereits im Jahr 1940 machte sie erste journalistische Erfahrungen. Sie verfaßte Börsen- und Marktberichte beim Österreichischen Wirtschaftsverlag. Das Abgangszeugnis wurde von ihrem Onkel Kurt Hottner ausgestellt. Im gleichen Jahr begann sie mit einer Buchhandelslehre beim Verlag Jugend und Volk, die sie am 30.6.1942 abschloß. Ihr im Jahr 1941 begonnenes Studium der Psychologie und Germanistik mußte sie nach einem halben Jahr aus politischen Gründen abbrechen. 1943 durfte sie das Studium nicht wieder aufnehmen. Im Bescheid vom 20.5.1943 wird die Verweigerung wie folgt begründet: Auf Grund von keinerlei politischem Einsatz. Nach dem Krieg nahm sie ihr Studium wieder auf und promovierte am 21.12.1951 zum Thema: Der Einfluß des Krieges auf die Entwicklung junger Menschen.
Nach dem Ende des Studiums arbeitete sie als Journalistin, Autorin, Übersetzerin. Im Frühsommer 1955 betreute sie Berthold Viertel als seine Sekretärin, zog nach dem Scheitern der Beziehung mit Hermann Hakel für ein Jahr nach München (1955/56), um einen Neuanfang zu setzen. Von 1958 - 1962 absolvierte sie eine Analyse in der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung. Aus der Schriftstellerin wurde eine Psychoanalytikerin, und es dauerte beinahe zwei Jahrzehnte, bis sie als Schriftstellerin wieder in der Öffentlichkeit in Erscheinung trat. Das heißt nicht, daß sie das Schreiben dazwischen aufgegeben hätte, der Nachlaß legt ein reges Zeugnis davon ab, mit welcher Permanenz und Leidenschaft Erika Danneberg auch weiterhin als Autorin existierte, aber eben eher verdeckt und zurückgezogen.

Von Männern und Brüdern
Während die Frauen im Leben von Erika Danneberg immer eher das fördernde, das politische Element darstellten, waren die Beziehungen zu Männern stärker von Intimität und sexueller Bindung geprägt. Vielleicht machte das ja auch die Verhältnisse zu den Männern so schwierig, weil sie bei ihnen, das kommt in vielen Notizen zum Ausdruck, immer Anerkennung in emotionaler und sexueller Hinsicht suchte, doch beide langjährigen Beziehungen, jene zu Hermann Hakel als Ehefrau und jene zu Friedrich Polakovics als dessen Geliebte, scheiterten gerade in diesen beiden Aspekten.
Schon zum Vater hatte sie ein gebrochenes Verhältnis, einerseits aus politischen, andererseits aus emotionalen Gründen. Zum Bruder brach sie aus politischen Gründen jeden Kontakt ab, und dies blieb auch bis zu ihrem Tod so. In gewisser Weise wiederholte sie in den späteren Beziehungen zu ihren Männern die beiden Ablehnungsprozesse und wollte sie auch überwinden.
In ihren Ehemännern wollte sie den Vater überwinden, zu ihren „Brüdern im Geiste“ eine Solidarität herstellen, die sie mit ihrem Bruder innerfamiliär nicht aufbauen konnte. Beide Versuche scheiterten. Gut dokumentiert hat sie diesen Prozeß in ihrer Autobiographie, die auch als Abrechnung mit ihren Männern gelesen werden kann. Die Autobiographie handelt von Vätern und Brüdern, von verlorenen und adoptierten Vätern, von gestorbenen, geliebten und verdrängten Brüdern. Und immer wieder auch die Suche nach dem Anderen, das anders ist als sie, das andere Geschlecht, das andere Denken, die andere Sprache. Trotz allem Scheitern, allen Zorns, den sie gegenüber ihren Männern empfand, blieb sie nicht in einer bloßen Abrechnung stecken, sondern versuchte den Widerspruch darzustellen, der sie hin- und herriß zwischen Unterdrückung und Liebe im Falle Hermann Hakels und in der Beziehung zu Friedrich Polakovics als dessen Geliebten, Frau und Freundin.

Die Ehe mit Hermann Hakel
Des öfteren hat Erika Danneberg die Ehe zu Hermann Hakel als eine Wiedergutmachungsehe bezeichnet. Ohne vorangegangenen Nationalsozialismus, ohne den Nazibruder und Vater hätte sie sich Hermann Hakel vielleicht ersparen können. Sie heiratete am 31.10.1949 und nahm den Namen Hakel an. Unter diesem Namen publizierte sie auch während der gesamten Zeit ihrer Ehe. Sie bewarb sich um die Aufnahme in der jüdischen Gemeinde, in die sie am 16.1.1951 unter dem Namen Esther aufgenommen wurde (Austritt am 7.2.1959). Argumentiert hat sie dies unter anderem auch mit den möglichen Kindern, die aus der Ehe entstehen könnten. Sie hätte gerne Kinder gehabt, doch mit Hermann Hakel war es undenkbar und auch die Position der Geliebten in der Beziehung mit Friedrich Polakovics machte ihr dies unmöglich.
Die Beziehung zu Hermann Hakel war nicht gut und von vielen Demütigungen gekennzeichnet. Auch wenn zu solch einer Leidensbeziehung immer zwei gehören, ist es doch symptomatisch, daß bis Anfang der neunziger Jahre nur ein Teil der Geschichte sichtbar war, nämlich jene von Hermann Hakel, wo in der Forschung mit einem Augenzwinkern auf seine Frauengeschichten hingewiesen wird. Die Ehefrau kommt in diesen Berichten nicht vor. Doch dieser Ehe, dieser Hölle, durch die beide gegangen sind, kann ich mich nicht mit einem Augenzwinkern nähern. Da bedarf es eines ernsten Blickes, der nichts entschuldigt mit der Genialität des Mannes, mit seiner Verzweiflung und seinem Selbstmitleid und nichts mit der Unterwürfigkeit der Frau, dem Dulden des Opfers.
Letztlich kann an dieser Beziehung beinahe exemplarisch eine Mann-Frau-Beziehung gezeigt werden, in der der Mann als besonderer Mensch in Erscheinung tritt, hinter dem sich eine Frau verbirgt, die unter dieser Besonderheit leidet. Das setzt sich bis in die Rezeptionsgeschichte der Hakelforschung fort. Erika Danneberg und Hermann Hakel waren ein Paar, das seine Spuren durch die österreichische Literaturgeschichte der vierziger und fünfziger Jahre gezogen hat. Von diesen Spuren ist selbst die männliche Spur nur in rudimentären Ansätzen sichtbar geworden, die weiblichen Anteile sind hingegen beinahe gänzlich unsichtbar geblieben.
Für beide markierte das Ende der Ehe 1958 auch das Ende ihrer literarischen Arbeiten als Autorin und Autor. Erst in den achtziger Jahren starteten beide unabhängig voneinander eine neue Karriere. Hermann Hakel klassisch als Dichter, Erika Danneberg als politische Autorin. Mit ihrem Engagement in Nicaragua kehrte die literarisch-publizistische Tätigkeit in ihr Leben zurück.

Nicaragua - Eine grosse Liebe
Ende der siebziger Jahre schien Erika Danneberg in eine schwere Krise geraten zu sein. Ihre Notizen sind von der Frage geprägt, ob sie sich im Alter auch zurechtfinden würde. Sie war von Angstzuständen geplagt. Doch eine der herausragendsten Eigenschaften Erika Dannebergs kam hier wieder zum Tragen: Sie ließ sich von ihren emotionalen und von Zweifeln geprägten persönlichen Zuständen nicht irritieren, sondern trat am Beginn der achtziger Jahre nochmals ein großes Abenteuer an. Sie begab sich nach Nicaragua und leistete Basisarbeit. Die sandinistische Revolution gab ihr noch einmal die Möglichkeit zum politischen Engagement, bot ihr die Gelegenheit, noch einmal etwas in Bewegung zu setzen.
Die Begegnung mit Marie Langer dynamisierte ihr Leben ein weiteres Mal.
Für Erika Danneberg war Marie Langer ein großes Vorbild, das ihr half, vor allem das Altern und die damit verbundenen Nebenerscheinungen neu zu bewerten. Sie hatten ganze drei Jahre miteinander. Nicht viel, wenn ich bedenke, wie lange es oft dauert, intensive Freundschaften aufzubauen. Doch die Arbeit an einem gemeinsamen Projekt, die Distanz, die Projektionsflächen, die Marie Langer ihr bot, machten es Erika Danneberg leichter, sich in diese Freundschaft mit aller Kraft hineinzubewegen – beinahe bedingungslos, wenn ich den Briefwechsel zwischen den beiden Frauen lese.
Elf Jahre liegen altersmäßig zwischen den beiden. Keine ganze Generation. Marie Langer: eine große Schwester. Eine Schwester im Geiste und in der Gesinnung. Schon damals hatte sich Erika Danneberg entschieden, aus der Sozialdemokratie auszutreten und sich der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) anzuschließen, in der sie sich auch später aktiv im Parteivorstand engagierte. Ihrem Engagement für Nicaragua folgte bald eine aktive Rolle in der KPÖ, in der Bewegung Rotes Wien und in zahlreichen sozialen Netzwerken. Bloße Mitgliedschaft war nie ihre Sache. War sie einer Gemeinschaft beigetreten, folgte sehr bald darauf auch ein aktives Engagement. Das begann bereits mit ihrer Tätigkeit für die Wiener Psychoanalytische Vereinigung (WPV), später dann in der Friedensbewegung, im Projekt Salud Mental und schließlich auch in der KPÖ. Etwas in Bewegung setzen bedeutet ja nun mal auch sich zu engagieren, nicht nur zuzusehen, wie einen selbst etwas in Bewegung setzt. Und Engagement hieß für Erika Danneberg: sich einzumischen, konkret mitzuarbeiten, an und in der Sache engagiert.

Zwischen Psychoanalyse und Politik
In den sechziger und siebziger Jahren arbeitete Erika Danneberg als Psychoanalytikerin, jedoch nicht nur in ihrer Praxis, sondern auch immer im Rahmen verschiedener Projekte. Sie war aktiv in der WPV tätig. Doch ihre Arbeit als Analytikerin blieb nicht ohne Widersprüche. Immer wieder stellte sie sich die Frage, ob es ihr genug wäre, diesen Beruf auszuüben, ohne sich darüber hinaus politisch zu engagieren. Sie wollte nicht nur als Analytikerin wahrgenommen werden, sondern auch ein engagiertes, publizistisches Leben jenseits dieser beruflichen Identität finden. Mit zunehmendem Alter gab sie der politischen Arbeit gegenüber der psychoanalytischen Praxis den Vorzug, und ihre Aktivitäten in der WPV wurden von denen in der KPÖ abgelöst. In gewisser Weise betrachtete sie ihre Tätigkeit als Analytikerin, die ihr große Freude bereitete, doch eher als Brotberuf. Ihr Leidenschaft hingegen galt immer der Literatur und der Politik.

Noch ein paar persönliche Worte
Was soll ich noch über Erika Danneberg sagen, das sie nicht schon in ihrer Autobiographie Wie leistet man Widerstand gesagt hat. Ich weiß es nicht. In den nächsten Jahren, wenn die Forschung zu ihrer Biographie und ihrem Werk fortgeschrittener sein wird, werden wir alle mehr über sie erfahren, als wir zu wissen glaubten. Jetzt am Schluß dieses kurzen biographischen Abrisses möchte ich noch ein paar persönliche Erinnerungen anbringen.
Es war eine der Stärken von Erika Danneberg, daß sie sich Ziele stecken konnte, nicht nur als Hilfskonstruktionen, sondern vor allem als erreichbare, praktische Veränderungen ihres Lebens. Auch für ihren Tod hatte sie sich ein solches Ziel gesetzt. In einem Interview sagte sie mir einmal: Das Altern erlebe ich nur sehr begrenzt als eine Bereicherung. Ich meine, vielleicht werde ich ein bißchen gescheiter davon. Es ist mehr, wie lern’ ich, würdig damit umzugehen, daß es eine Menge Dinge gibt, die ich nicht mehr kann. Das ist das Schwierigste. Ich möchte nicht sagen: Ach wäre ich doch nur früher gestorben, um dieses allmähliche Bestimmte-Dinge-nicht-mehr-Können nicht erleben zu müssen. Aber ich nehme all das, was ich nicht mehr kann, als einen natürlichen Prozeß, der mich nicht freut, aber von dem ich mir wünsche, ihn einigermaßen würdig bis zum Ende zu leben. Ich hoffe, daß ich nicht allzusehr abhängig werde. Ich würde gerne sterben in einem Zustand, wo ich noch selber über mich bestimmen kann.

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