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[heft 4] [dezember 2011] wien - st. wolfgang



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Der Salzburger Ast
Peter Simon Altmann

Der Sommer 2011 bot wenig erfreuliches Wetter. Auf zwei Tage Sonnenschein folgten drei Tage oder eine Woche Regen, und die Niederschläge fielen zum Teil sehr heftig aus. An einem Montag Ende Juli, als die Sonne nur selten von Wolken verdeckt wurde, die Hitze sich jedoch in Grenzen hielt, beschloß ich das Salzbergwerk auf dem Dürrnberg nahe bei Salzburg zu besuchen. Ich verließ die Festspielstadt um 11 Uhr 30 mit dem Postbus und erreichte etwa eine halbe Stunde später Hallein, wo ich am Bahnhof in den Bus auf dem Dürrnberg wechselte. Da ich vor dem Eintritt in das Bergwerk noch etwas essen wollte und mir das Gasthaus gegenüber der Kirche in guter Erinnerung war, fuhr ich mit dem Bus eine Station weiter, um durch ein kurzes Waldstück und über eine hügelige Bauernwiese dasselbe zu erreichen. Als ich auf der Wiese stand und mit etwas Freude die erfrischende Bergluft inhalierte, schaute ich auf das Salzachtal hinunter und war recht froh, daß ich mich zu dieser Route entschieden hatte.

Nachdem ich Eierschwammerl mit Knödel verspeist hatte, stieg ich die Steintreppen neben der sehr steil abfallenden Straße hinunter, um zum eigentlichen Ziel meines kleinen Ausflugs zu gelangen, und als ich dann wie ein Kumpel mit Schutzkleidung versehen auf einem kleinen Zug sitzend für längere Zeit in den Berg hineinfuhr, fiel mir in dem nur schwach beleuchteten Tunnel wieder der Grund meines Besuches ein, und ich hielt Ausschau nach der Gedenktafel von Stendhal und dem mit Salz überzogenen Ast.

salzburger zweig Wer über die Liebe nachdenkt, und wer tut dies nicht mehrere Male in seinem Leben?, kommt an der »Kristallisationstheorie« von Stendhal alias Henri Beyle sicher nicht vorbei, und das Sinnbild »Kristallisation« für dieses Modell der Liebe fand der französische Schriftsteller im Dürrnberger Salzbergwerk. In früheren Zeiten wurden den Besuchern als Andenken mit Salzkristallen überwachsene Zweige überreicht. Die Ästchen waren zuvor in entblättertem Zustand in die Sole geworfen und dann nach ein paar Monaten mit schönen Salzsteinchen überzogen herausgefischt worden, und dieser Prozeß veranschaulicht nach Stendhal genau jenen des Verliebens, wie in seinem Buch »Über die Liebe« und in seiner Geschichte »Der Salzburger Zweig« zu lesen ist. Verlieben ist nach dieser Theorie folglich, wenn man einer Frau oder einem Mann Eigenschaften der Vollkommenheit hinzudichtet, die reale Person in der Vorstellung gleichsam mit falschen Kristallen übersät. Ein großer Kritiker dieser Ansicht war der spanische Philosoph José Ortega y Gasset. »… im Grunde ist für diese Theorie die Liebe ihrem Wesen nach eine Täuschung. Nicht daß sie manchmal irrte, sondern sie ist an sich ein Irrtum. Wir verlieben uns, wenn unsere Einbildungskraft in eine andere Person Vollkommenheiten hineinlegt, die sie nicht hat«, läßt sich bei ihm in dem Fragment »Züge der Liebe« erfahren. Irgendwann kommt die Zeit, in der einem bewußt wird, daß man in dem geliebten Wesen Eigenschaften hineinlas, die nicht der Wirklichkeit entsprechen, und man letztendlich einen großen Fehler gemacht hat, und daß nach Stendhals Idee die Liebe immer ein Irrtum ist und sie deswegen irgendwann immer ein Ende findet, gerade daran stößt sich Ortega y Gasset.

Als Stendhal, zehn Jahre nachdem er den Dürrnberg besucht hatte, sein Werk »Über die Liebe« zu schreiben begonnen hatte, war er auf Grund einer unerwiderten Zuneigung zu einer Frau in seinem Herzen so verletzt gewesen, daß dies unlöschbare Spuren in ihm hinterließ, und er wollte ergründen, warum dies so ist. Vielleicht habe ich mich gerade deswegen an den französischen Schriftsteller und an sein berühmtes Buch erinnert, da auch ich gerade mit Wunden kämpfte, die zwar von einer erfüllten Liebe herrührten, deren endgültiges Glück im ehelichen Bunde aber versagt geblieben war. Ich hatte auf Grund meines schlechten Verhaltens, das ich mir nach wie vor nur annähernd erklären kann, die Gefühle einer Frau, die für mich, und ich für sie, entbrannt war, solange mit Füßen getreten, bis diese sich in Haß umgekehrt hatten. Jetzt in der Einsamkeit bereute ich meine Kapricen sehr. Aber wahrscheinlich waren sie unvermeidlich gewesen, und ist die Schuld nicht nur bei mir zu suchen. Es war eine verbotene Liebe mit vielen Auf und Abs gewesen, welche meine Partnerin zur Lüge gegenüber ihren Eltern zwang, deswegen wohl schon von Anfang an das Ende dieser Liaison im geheimen Buch des Lebens festgesetzt war. In der Verlassenheit bestand freilich nun die Gefahr, daß ich die gescheiterte Beziehung in der Erinnerung gleichsam »kristallisiere«, sie in ein rosa Licht tauche und die vielen negativen Umstände, welche diese Verbindung auch begleitet haben, vergesse.

Es wäre jedoch sehr schön gewesen, wenn ich an diesem Tag Ende Juli in Begleitung das Dürrnberger Salzbergwerk besucht hätte, da man auf den zwei langen Holzrutschen im Bergwerk nicht alleine hinunterrutschen darf, und ich mich somit in der peinlichen Lage wiederfand, mir jemanden Fremden zu suchen, an dem ich mich für diesen Zweck festklammern konnte.

Erst als ich wieder aus dem Berg heraußen war, stieß ich endlich in der Eingangshalle auf die marmorne Gedenktafel, welche an dem Besuch von Stendhal erinnerte, und auf den mit Salzkristallen überzogenen Ast in einem Glaskästchen daneben. Die »Kristallisationstheorie« beschreibt sicher nicht den Zustand der Liebe, sondern nur den des Verliebens. Natürlich können sich im Verliebtsein dann echte Gefühle, die zu einem ewigen Bund führen, entwickeln. Aber gibt es überhaupt die echte Liebe? – Es ist besser für mich diese Frage zu verneinen, doch mein Herz flammt noch immer für die Frau, mit der ich über drei Jahre lang glücklich gewesen bin, oder vielleicht bin ich einfach nur gekränkt, weil ich nicht mehr begehrt werde.





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