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[heft 6] [juni 2012] wien - st. wolfgang



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Timbuktu und andere Prosa
Eva Scala


Timbuktu
Alle sagen sie dir: "Fahre nie nach Timbuktu".
Lehmmauern, die im Sand ersaufen, der Sonnenfleck am Himmel, zu müde, um Schatten zu werfen. Ein räudiges Kamel, dahinter versteckt eine Horde raffgieriger Tuareg, die dir den Silberschmuck ihrer Ahnengeister vor die Füße werfen.
"Nur nicht Timbuktu", sagen alle, die einmal dort gewesen sind.
Ich hasse sie.



Am Markusplatz
Das Mädchen reißt das schwingende Kleid mit einem Ruck auf. Aus ihrem Leib flattern graublaue Tauben.



Der listige Träumer
Manchmal erwache ich im Schlaf und glaube, ich bin gestorben.
Dann steh ich auf – es geht ganz leicht – und drück mir die Augen zu.
Ich weiß, ein guter Tag liegt vor mir.



Philemon und Baucis
"Ist ihr Fotoapparat gut? Ja, dann machen Sie ein Foto von mir, hier an diesem Platz, das ist mein Platz und an diesem Tisch. Mein Tisch in meinem Haus. Dann werden meine Enkel sehen, wer ich war."
Michael setzt sich in die Laube, die Glyzinien rahmen ihn lieblich ein, ihn, der selbst gar nicht lieblich ist. Ein kurzbeiniger Bauer mit einem riesigen Gesicht.
Michael und Rula sprechen seit fünfunddreißig Jahren nicht mehr miteinander und leben doch zusammen in einem Haus, führen ein kleines Hotel, das Hotel "Gorgona". Michael ist viel weg, bei seinen Schafen und in den Ölbaumgärten, von denen er mehrere in der Umgebung besitzt und oft bleibt er ein ganzes Monat weg bei seinem Kohlemeiler, ein Zuverdienst und er kann das viele Holz verbrauchen, das im Olivenhain anfällt.
Rula spricht nicht mehr mit Michael seit dem Tag im September, als er seine beiden Buben heimlich zusammenpackte und sie in ein Internat nach Saloniki brachte. "Sie sollen sich nicht den Rücken krumm arbeiten." Rula schrie und weinte, flehte und tobte, aber Michael blieb dabei. Rula sah ihre Buben nur mehr in den großen Ferien und später dann, als etwas aus ihnen geworden war, kamen sie selten und dann gar nicht mehr. Der Zwist der Eltern hatte sie zermürbt und verdrossen gemacht.
Rula zeigt mir Fotos ihrer Enkelkinder. Ob denn nicht sie nach Deutschland reisen wolle. Sie steht auf, zeigt mit einer wilden Armbewegung in Richtung Theke, hinter der Michael sitzt. "Der kann nicht allein bleiben." Dann steht sie auf und geht hinaus.
Ich schicke das Foto an Michael und Rula, aber es kommt keine Antwort von ihnen. Im Oktober rufe ich an, es meldet sich das Hausfaktotum Elena. Michael habe Anfang September der Schlag getroffen, ganz plötzlich, auf seiner Veranda sei er gesessen, Rula habe ihn dort lange sitzen gesehen und dann sei sie hinausgegangen und habe ihn angeschrien: "Michael, was ist?" Da sei er vorübergekippt, mausetot.
Ja das Hotel werde verkauft, sie wisse nicht was weiter tun. Und ob ich wiederkäme? Übrigens: Rula sei vor einer Woche zu ihrer ersten Reise aufgebrochen: nach München zu einem ihrer Söhne. Ob ich glaube, dass sie wiederkomme?



Weiter oben
Am Strand liegen sie dicht an dicht, kein handtuchbreit Platz im gesprenkelten Schatten der Tamarisken. Eine Kugel Erdbeereis zerrinnt auf der Betonbarriere, ein Faden hat fast die Kante des Wassers erreicht, wo bereits die Tüte schwimmt. An der Häuserzeile entlang zieht die Sonne Licht und Schatten mit dem Lineal, nicht einmal die Tücher am Verkaufsständer bewegen sich. Die Beine hochgelegt, die Serviette über der Schulter, den Kopf eingezogen hält der Kellner still. Vom Wasser her schwappen manchmal Kinderschreie und Platschen herüber. Beim Überqueren der Strasse fühlt sich der Asphalt weich an.
Weiter oben steht das ausgebeinte Dorf. Motorenlärm dringt nur gedämpft bis herauf. Am Abend erst werden einige versprengte Urlauber durch die grauen Gassen ziehen und drei alte Frauen die Bank vor der Kirche besetzen. In einem Garten fallen Kaskaden gelber Rosen von der Mauer. Ein Fensterladen hängt lose im Gewirr der Steine, der rostige Nagel - ein Farbtupfer im Vorübergehen.
Weiter oben in den Ölbaumhainen bist du allein, das Gras wächst hoch in den Mulden, die das Vieh ausgestampft hat. Du suchst Tritte beim Gehen. Das Licht fällt als Knochensplitter auf deine Hände. Traumzikaden begleiten dich, geschmiegt in den Schorf der Rinden, versteckt im Gewirr der Silberblätter. Das Sirren dringt in dich ein, schaltet die Gedanken aus, macht dich durchlässig und matt.
Weiter oben wird es steinig, die Ölbäume verkommen zu Büschen, durchwachsen von Gestrüpp, das die Schlangenspur des Pfades einengt. Der Himmel kommt auf Augenhöhe herunter, ein kräftiges Blau. Dein Schatten geht dir voran. Ein wenig singt der Wind oder irrst du dich? Der schwarze Vogel schlägt Kapriolen in der Luft, du bleibst stehen, da lässt er sich plötzlich über den Horizont fallen.
Weiter oben verläuft sich der Pfad in viele kleine Ziegensteige, die in Adern die Hänge überziehen. Es muss hier wohl Tiere geben. Ein Steinschlag, du bleibst angepfählt stehen und hörst nur das Sausen des Blutes in den Ohren, es geht steil bergan. Wirst du ausrutschen auf den blanken Steinen, den polierten Kindertotenköpfchen, liegen bleiben und verdursten? Was für ein Geräusch? Es ist nur die Wasserflasche, die in deinem Rucksack gluckert, wirf sie weg, werde leichter. Der Himmel erreicht deine Hüften, er schwingt vom Blau ins Violett, die Sonne, wo ist sie geblieben?
Weiter oben gehst du durch schwefelgelbes Geröll, leicht und porös, du sinkst ein wenig darin ein. Es ist so kalt wie nie zuvor, deine Gelenke werden schon steif. Der Himmel umspannt dich schwarz bis zu den Knöcheln und du schaust gebannt auf die riesengroße Feenkugel vor dir im All. Weiße Schlieren schlingen sich um einen blauen Leib. Sehnsucht lässt deine Brust aufspringen, die Kälte dringt ein und wird sie sehr schnell auslöschen.




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