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[heft 6] [juni 2012] wien - st. wolfgang



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Bereite Herzen
Peter Hodina


Sie wolle jetzt – sie sei bereit, ("mein Herz ist bereit") – Mitte vierzig ein Kind, ihr erstes, ein einziges Kind wenigstens. Sie werde dann aber zusehen müssen, meinte der von ihr anvisierte potenzielle Zeuger, der doch hoffentlich nicht ganz schwul sei. Er solle wenigstens in diesem einen, ihr auf den letzten Abdrücker gerade noch eingefallenen Kindspunkt eine Ausnahme von seiner Schwulität machen, die sie ihm ansonsten durchgehen ließe, hatte sie doch auch selber in ihren jüngeren Jahren lesbische Erfahrungen gemacht. Dann wieder schien sie auf das Kindsprojekt ebensogut verzichten zu können, da der Hund ja auch reiche und selbst schon die Rund-um-die-Uhr-Versorgung dieses Mischlingshundes, der der slowakischen Hundevernichtungsmaschinerie im letzten Moment von ihr nach Österreich, ins wunderschöne Salzburg entrissen worden war, zu wünschen übrig ließ, sodass ihre schon bald betagte, strenge Mutter zwecks Hundesittens immer wieder einspringen musste. Aber sie, die einzige Tochter, habe nun als Pädagogin einen solchen Lebenserfahrungsschatz ansammeln können, dass es schade sei, nicht ein eigenes Kind zum Adressaten dieses geistigen und vor allem allseitig musischen Reichtums machen zu können, andererseits. Hans, eigentlich auf den altmodischen Namen Johann Chrysostomus getauft, entstammte selbst einem Lehrerehepaar, das wiederum es sich nicht versagen konnte, die eigenen Kinder zu Adressaten seiner vermeintlichen pädagogischen Befähigung auf Biegen und Brechen zu machen, mit allen neurotischen Folgen später. Drei Sonderlingssöhne, jeder in eine andere Richtung sprießend, waren Produkte solcher elterlichen Verbindung. Deren Frauen führten beständig Klagen über die Macken derselben – der jüngste, nun Wunschkandidat für ein abermaliges Fortpflanzungsprojekt, war von seiner bisherigen Frau nun endlich wieder freigegeben worden – "in aller Freundschaft getrennt". Auch diese Frau war Lehrerin gewesen. Es waren immer Lehrerinnen, die ihn anlachten, als gäbe es keinen anderen Frauenberuf als diesen. Noch in den Knochen, bis heute, steckt ihm der Blockflötenunterricht, den seine Mutter, die Frau Schulrätin, ihm angedeihen lassen wollte. Das letzte Loch verfehlte der Bub. Bei diesem Musikunterricht war nur eine einzige Flöte das Unterrichtsmittel, das zwischen der Mutter, die vorblies, und dem Buben, der das Vorgeblasene nachblies, hin und her wechselte. Der Knabe schämte sich seines Ekels vor dem mütterlichen Speichel auf der Flöte, er würgte den Ekel hinunter, aber natürlich war ihm diese Musikprozedur verhasst, in der er auch nach Wochen kaum Fortschritte erzielte!

Die Pfingstfeiertage waren gekommen und die Enten und Gänse am Weiher führten ihre Jungschar aus, die bereits erste halbselbständige Watschelschritte unternehmen durfte. Auch der Gockel im benachbarten Streichelzoo – die Wollschweine und Ziegen hatten sich wegen der Hitze in ihre Verschläge verdrückt – raste einer unwilligen, in vergeblicher Flucht begriffenen dunklen Henne hinterher, mit einem Federwams, das an einen Goldfasan oder nationalsozialistischen Gauleiter erinnerte. Die eigentliche Begattung erfolgte mit Sekundenschnelligkeit, dann drehten die Tiere im hohen, gesunden Gras jeweils in ihre eigene Richtung ab. Kaum hatte der Hahn sein drangvolles Werk vollbracht, ereilte ihn ein Desinteresse an der Henne, die zuvor desinteressiert war, nun wahrscheinlich erst die Aufregung verwinden musste. Vielleicht ging das Desinteresse der Henne sogar auf den Hahn über; der Hahn, die Henne verfolgend, holte sich das Desinteresse der Henne ab, die nun vom Begattungsschock sich erholen musste. Die Wogen zwischen den beiden glätteten sich, je mehr sie sich aus den Augen verloren und sich wieder aufs Aufpicken von Nahrhaftem konzentrieren konnten. Blitzschnell vollzog sich der Begattungsakt bei diesem völliger Freiheit reinbiologisch überlassenen Geflügel.

Es war ein sehr sättigender Grillfrühnachmittag gewesen. Zweieinhalb Schriftsteller hatten sich getroffen, eigentlich drei, aber zwei waren ausdrücklich Romanciers, der halbe und zugleich älteste war nur ein Kurzprosaautor, der nie die Ausdauer besessen hätte, sich an einen Monate beanspruchenden Roman zu machen: Johann Chrysostomus. Dass heute alle Romane und sogenannte Roman-Debuts verfassten, war ihm verdächtig. Dann stocherten sie die relative Ereignislosigkeit ihrer Leben künstlich auf, bezichtigten sich angeberisch selbst der Polygamie, wo sie doch in ziemlich festen Beziehungen mit ihren Frauen lebten, die geregelten Arbeiten nachgingen. Johann Chrysostomus wollte ohnedies lieber, schon sein altmodischer Name wies ihn in diese Bahnen, ein Mönch werden, es fragte sich nur welcher?

Am Vortag hatte sich der sowohl verhinderte (es verschiebende) Mönch als auch verhinderte (es verschiebende) Partner als auch verhinderte (es verschiebende) Schriftsteller seinen Magen verdorben, er war mit Übelkeit erwacht, er hatte einen Einkaufswagen in sich hineingefressen und auch noch reichlich Birnschnaps nachgegossen. Zu Mittag taumelte er dann in der Pfingsthitze zum vereinbarten Grillplatz, er fühlte sich älter als sonst, seiner Schritte nicht sicher. Ein Triumvirat von noch nicht ganz so, wie es sich gehört hätte, etablierten Schriftstellern hätte angebahnt werden sollen. Von der Nachspeise war der Halbe der Drei lächelnd wie ein Kind besänftigt und verdaute seine Erfolglosigkeit angenehm, aber auch müde hinweg. Hans war das ganze niemals so ernst gewesen.

Nicht wirklich war er, nicht wirklich wirklich, sofern es Sinn macht, überhaupt so zu reden. Mit dem schönsten der Kollegen, der sich eine sportive Ray-Ban-Sonnenbrille aufsetzte, durfte er dann noch einen Spaziergang um jenen Weiher machen. Von einem Balkon aus blickte genau ihn eine noch nicht ganz alte Frau mit unverkennbarer, unzweideutiger Bosheit an: ihn scharf ins Auge fassend. Am Balkon unterhalb waren tibetische Gebetsfähnchen angebracht. Zwei junge, ganz anderes im Sinn habende Männer mit ausländischem Akzent, nach Rasierwasser riechend, kamen aus dem Haus und stiegen in einen Gebrauchtwagen.

Zwei neue große, für die Gegend und bisherige Bauweise dort ungewöhnlich moderne, weil ovale Wohnhäuser standen als Rohbauten da: als SOZIALISTISCHE Architektur könnten sie durchgehen, wären es nicht Eigentumswohnungen schier unbezahlbarer Preisklasse. Die Gegend, so schön sie auf den ersten Blick auch erscheinen mochte, hielt doch hauptsächlich nur Langeweile bereit. Auch in diesen Luxuswohnungen sitzend oder liegend, hätte sich der Vorrat phantasievoller Lebensgestaltung sehr bald erschöpft. Vielleicht würden die Privilegierten dort nicht einmal die Kraft aufbringen, Bücher zu lesen. Hätte Hans eine der großen Penthousewohnungen zur Verfügung, er würde nicht anders hausen als in dem kleinen Wohnverschlag seiner Garçonnière. Die Möglichkeit, unten auf Frauensuche zu gehen, würde er verschieben von einem Tag auf den nächsten. Viel wichtiger, als eine solche Wohnung für sich zu besitzen, war die Anschaffung eines Fahrrades.

Es war für einen Roman einfach keine Handlung da.



© beim autor

peter hodina ist 1963 in salzburg geboren. veröffentlichte zahlreiche beiträge in literaturzeitschriften, anthologien, im hörfunk und im internet. vorträge im in- und ausland über thomas bernhard, witold gombrowicz, bertolt brecht, ludwig hohl, jean améry, pawel florenski, ferdinand ebner. preisträger beim 6. harder literaturwettbewerb 2000. rauriser förderungspreis 2004. seit 2007 mitglied der grazer autorinnen autorenversammlung (gav).
publikationen auswahl
steine und bausteine 1, berlin 2009. (avinus verlag)
steine und bausteine 2, berlin 2010. (avinus verlag)



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